Polnische und sowjetische Veteranen am 9. Mai 2013 im Treptower Park

7. Mai 2013

Berlin, 7.Mai 2013

Pressemitteilung

der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der

Antifaschistinnen und Antifaschisten und

 

Polnische und sowjetische Veteranen am 9. Mai 2013 im Treptower Park

 

Wir freuen uns, die beiden Veteranen Jakow Resnik und Jan Paciejewski

am 9. Mai 2013 auf unserem Fest im Treptower Park begrüßen zu dürfen.

Jakow Resnik (*1925) wird gegen 13.30 sprechen und Jan Paciejewski

gegen 16.00 Uhr.

Parkplatz am Rosengarten, Puschkinallee, unweit des sowjetischen Ehrenmals

Jakow Resnik wurde 1925 in Schepetowka in der Ukraine geboren. Seine

Familie war nicht sehr religiös, beging aber die hohen Feiertage. Nach

seiner Flucht vor den Deutschen im Jahre 1941 trat er 1943 als Pionier

in die Rote Armee ein. Er kämpfte in der Ukraine, Moldawien, Rumänien,

Jugoslawien, Ungarn und Österreich. Aus Wien kehrte er 1947 in seine

Heimat zurück. In der Ukraine litt auch er unter den antisemitischen

Beschränkungen für Juden bei der Studien- und Berufswahl. So konnte er

nicht Jura studieren. Er arbeitete als Ingenieur in einer

Textilfabrik, dann als leitender Angestellter eines Kombinats und

Dozent. 1998 wanderte er nach Deutschland aus. Heute lebt er mit

seiner Frau in Berlin und ist Vorsitzender des Klubs der jüdischen

Veteranen der Roten Armee.

 

Jan Paciejewski(*1926), kämpfte als polnischer Partisan der BCh (Bauern-Armee).

Er nahm während der Befreiung des Vernichtungslagers Majdanek durch die

Rote Armee, im Umkreis des KZs an Aktionen gegen die SS teil. Als

die 2. Polnische Armee Polen erreichte, trat er ihr bei, überquerte die

Neiße und kämpfte in der Lausitz.

Am 10. November 2012 nahm  er an den Aktionen gegen den

Neonazi-Aufmarsch in Frankfurt Oder teil.

Wir trauern um Hanna Podymachina

23. April 2013

Hanna Podymachina
(* 26. Februar 1924 in Berlin; † 16. April 2013 in Berlin)

 

Für mich, Hanna Podymachina, geb. Bernstein (mein Pseudonym in der Emigration war Bauer), endete der Zweite Weltkrieg schon am 13. April 1945. An diesem Tag nahm die 3. Ukrainische Front der Sowjetarmee die Hauptstadt Österreichs Wien ein. In den Reihen der 3. Ukrainischen Front kämpfte ich im Range eines Leutnants von herbst 1942 vor der Einkesselung der Paulus-Truppen bei Stalingrad und als Oberleutnant ab Sommer 1943 bis April 1945 bei der Einnahme von Wien. Mein Weg führte mich dabei über das Don-Becken, die Ukraine, die Moldauische Republik, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Ungarn bis nach Wien.

Hanna Podymachina vor Stalingrad

Hanna Podymachina vor Stalingrad

Zu meinen Aufgabengebieten gehörte das Verfassen von Flugblättern, Dolmetschen bei Verhören von Überläufern oder Gefangenen und die Tätigkeit als Sprecher von Sendungen für die gegnerischen Truppen. Dabei sendeten wir von der vordersten Frontlinie aus einem Lautsprecherwagen und im Sommer 1943 auch aus einem 2-sitzigen Doppeldeckerflugzeug mit Lautsprecheranlage, mit dem wir nachts feindlichem Gebiet kreisten. Für den Flugzeugeinsatz wurde ich mit der Tapferkeitsmedaille an der Front ausgezeichnet.

Von der endgültigen Kapitulation Hitlerdeutschlands erfuhr ich in einem Wiener Krankenhaus , in dem ich wegen einer schweren Malaria lag, die ich mir in den Sümpfen Bessarabiens 1944 zugezogen hatte. Am 9. Mai erschien die „Österreichische Zeitung“, in der mein Vater Rudolf Bernstein (Pseudonym in der Emigration ebenfalls Bauer), Hauptmann der Roten Armee seit 1943, als Redakteur arbeitete, mit dem Aufmacher auf Seite 1 „Der Krieg ist zu Ende“, der Untertitel lautete: „Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte“.

Für mich als gerade 21Jährige, ergab sich durch das Kriegsende die Möglichkeit, den Teil meiner Familie, der bei unserer Emigration 1934 in Deutschland verblieben war, wieder zu sehen und am Wiederaufbau eines friedlichen Deutschland teilzunehmen. Als Mitarbeiterin in der sowjetischen Militäradministration in Deutschland arbeitete ich von 1945 bis 1949 unter Oberst Tulpanow mit bei der Umgestaltung und Demokratisierung meines Heimatlandes.

Quelle: DRAFD

Weitere Infos zu Hanna Podymachina:

  • Gestorben: Hanna Podymachina; Nachruf in der jungen welt vom 18.04.2013
  • Die Rotarmistin aus Berlin. Der lange Weg der Hanna Podymachina von Stalingrad bis Wien; Beitrag im neuen deutschland vom 11.03.2010
  • Wir waren »Zersetzer«; antifa-Gespräch mit Hanna Podymachina, die in der Sowjetarmee kämpfte; in antifa 5-6/2009, Seite 5
  • Die Deutsche in der Roten Armee. Hanna Podymachina, DDR-Chefdolmetscherin in Moskau; Radiosendung vom 19.10.2008

Broschüre 2013

10. April 2013

Unsere deutsch-russische  Broschüre.

Broschüre 2013 weiterlesen »

Interview mit Zygmunt Bauman

16. März 2013

Für eure und unsere Freiheit!
Gespräch mit Zygmunt Bauman zum 67. Jahrestag des Sieges über den Faschismus am 9. Mai 2012


Wie erlebten Sie den Sieg über den Faschismus?

Am Tag der Kapitulation des „Dritten Reiches“ fehlten mir, einem Leutnant der Polnischen Streitkräfte, zur Erlangung der Volljährigkeit, genau anderthalb Jahre – die, wie ich in der Vorkriegszeit gelehrt wurde, erst mit dem 21. Geburtstag erreicht werden sollte. Ich erinnere mich nicht daran, dass mir der Gedanke darüber schlaflose Nächte bereitet hätte. Im Gegenteil: Meine Jugend und Unreife schien mit dem Zustand des Landes und der Welt übereinzustimmen – wie weit oder eng auch immer meine Vorstellung davon damals war. In mir und um mich herum begann erst alles: es startete von Neuem. Hier und dort zählte nur die Zukunft. Der Krieg und die Besatzung mit ihrer täglichen Portion der Erniedrigungen, des Hungers und der Angst, der unablässigen Nachbarschaft des Todes, der unteilbaren Herrschaft des blinden Schicksals waren ein entsetzlicher Traum, der hier eben, in diesem Augenblick, sein Ende fand und dessen düsteren Dunst man schnellstens abschütteln sollte. Alles steht wieder in der Macht des Menschen und für ein Untätigbleiben gibt es keine Rechtfertigung. Nach Jahren nüchterner Schwärmereien, ertragreich an Phantasie, doch karg mit Hoffnung ausgestattet, kam die Zeit der Pläne, die Zeit der mächtigen Worte – Worte, die wie nie zuvor nun endlich „Fleisch“ werden sollten…

Ich beschrieb diese Erfahrungen in dem Buch „Życie w kontekstach“ [„Leben in Kontexten“ – deutsche Auszüge veröffentlicht in telegraph 120]. In meiner Erinnerung ließ mein Land vor dem Krieg sehr viel zu wünschen übrig und mein Leben darin war ein ebenso weit vom Ideal entferntes. Das ‘damalige Polen’ war ein Land der unvorstellbaren Armut, welche sich in meiner Heimatstadt Poznań schon wenige Schritte von meinem Haus einnistete, direkt auf der anderen Seite der Dąbrowski Straße. Von Zeit zu Zeit wuchsen ihre Triebe auch entlang der geschniegelten und scheinbar mit sich und ihrem Schicksal zufriedenen Straßen Prusa und Słowackiego. Sie erreichten auch für mehrere Jahre das Innere unserer Wohnung und in jedem Dorf, welches ich als Kind besuchte, wucherte es schon gänzlich ungeniert mit Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit, offen spottend über jegliche Verstellung, Maskierung und die Wahrung des Scheins. Dieses Polen: Es war gastfreundlich für Vermögende und gnadenlos, jeglichen Mitleids entledigt gegenüber jenen, die von deren Wohlwollen abhängig waren, die sie zwangen, ähnlich wie meinen Vater, die menschliche Würde gegen Brot für die Familie zum Tausch anzubieten. An all das habe ich mich erinnert, genauso wie an die Rippenstöße, an die Tritte und an die Schubsereien der Schulkameraden (Nach dem Beispiel ihrer älteren Brüder oder Cousins an der Universität und am Gymnasium trieben sie auch mich in das Schulbank-Ghetto). Die Erinnerung daran tat noch lange, nachdem die blauen Flecken verwunden waren und der Schmerz nachgelassen hatte, weh, die Beleidigungen und Erniedrigungen waren darauf angelegt ewig zu wirken.

Ein Polen unter deutscher Besatzung lernte ich nicht kennen. Ich kehrte in das Polen zurück, welches ich am 2. September 1939, als ich in den Zug [in Richtung Sowjetunion] stieg, verlassen hatte. Es war gerade dabei, sich in ein besseres Polen zu „verkleiden“. Daran wollte ich mich beteiligen. Wir werden miteinander reden, werden einer den anderen verstehen und überzeugen, wir werden uns einigen, gemeinsam werden wir die Ärmel hochkrempeln und die nicht verheilten Verletzungen heilen und den Kreis der Demütigungen und Erniedrigungen durchbrechen…

Wann und unter welchen Umständen traten Sie in die Polnische Armee im Osten ein?

1943 (noch bevor ich 18 Jahre alt wurde) kam Stalin auf die Idee, dass die Moskauer Polizei in ihre Reihen „fremde Elemente“ aufnehmen sollte, um so das Risiko zu minimieren, dass sich die „Sicherheitsorgane“ mit den von Armut geplagten Einheimischen, verbrüdern. Ich, der aus Polen geflüchtet war, fiel unter diese Kategorie und zahlreiche mit mir vergleichbare Polen, Letten u.ä. Ich wurde aufgefordert den Straßenverkehr in Moskau zu regeln. Nach einigen Monaten gelang es mir durch Unterstützung des Związek Patriotów Polskich [ZPP -Bund Polnischer Patrioten in der UdSSR] nach Sumy bei Charkow herauszukommen, wo die 4. Division Jan Kiliński der I. Polnischen Armee in der UdSSR formiert wurde. Nach einer nur einige Wochen dauernden (!) Offiziersausbildung (Polen mit einem Abitur waren damals Gold wert) wurde ich, im Rang eines Fähnrichs, dem 6. Artillerie-Regiment als stellvertretender Kommandeur der 5. Batterie für politische Angelegenheiten zugewiesen. Meine Rolle wie auch die der anderen „Stellvertreter“ im Regiment, wenn nicht gar Division, bestand in der „Polnisierung“ der Batterie. Ich war in ihr wohl der einzige polnisch sprechende Offizier, fast alle Unteroffiziere und Kanoniere stammen aus dem polnischen Grenzland im Osten und bezeichneten sich in der Mehrheit als „Ruthenen“.

Wie verlief ihr Kampfeinsatz?

Davon gab es leider nicht allzu viel… Nach dem Ausbluten der I. Armee in der Schlacht bei Lenino wurde diese in Reserve gehalten bis sie unstrittig polnisches Gebiet erreichte, das heißt den Fluss Bug überquerte. Dort begann auch mein „Kampfeinsatz“. Das erste scharfe Schiessen im August 1944 hatte ich auf der Saska Kępa [Stadtteil von Warschau auf der rechten Weichsel-Seite] absolviert als wir erfolglos die Landung der Infanterie in Czerniaków [Warschauer Stadtteil auf der anderen Flussseite] unterstützten. Anschließend waren wir einige Monate in der Ortschaft Radość, wo wir uns – bis zum Beginn der Offensive und der Überquerung der Weichsel bei Warka am 17. Januar 1945- mit der Wehrmacht auf der anderen Flussseite gegenseitig beschossen. Aber selbst dann war das noch nichts. Bis März 1945 haben wir es nicht geschafft die Wehrmacht einzuholen, so schnell sind die davongehuscht. Und so, um ehrlich zu sein, begann mein Einsatz im Krieg erst bei der Durchbrechung des Pommern Walls. In den Straßenkämpfen von Kolberg wurde er Wirklichkeit, dessen deutsche Besatzung – sehr gut ausgerüstet und vom Rest seiner Einheiten abgeschnitten – sich bis zum Letzten verteidigte. Dort wurde ich am 18. März an der rechten Schulter verwundet und dort errang ich auch die Tapferkeitsmedaille. Nach der Operation und einigen Wochen im Feldlazarett bat ich um eine Entlassung im Rahmen einer „1.-Mai-Selbstverpflichtung“. Ich gelangte per Anhalter zurück zu meiner Einheit als bereits die Schlacht um Berlin ihrem Ende entgegen kam.

Wofür haben Sie und ihre Kameraden gekämpft? Gab es Diskussionen für welches Polen man bereit ist zu kämpfen, ob man in den Reihen der Polnischen Armee im Osten kämpfen oder der Heimatarmee (AK) beitreten sollte?

Ich kann nicht für alle sprechen; ich selbst bin groß geworden mit der Lektüre der „Wolna Polska“ [„Freies Polen“ – Wochenschrift des ZPP, die 1943-1946 in Moskau herausgegeben wurde] und der „Nowe Widnokręgi“ [„Neue Horizonte“ – gesellschafts-literarische Monatsschrift in den Jahren 1941-1946, die anfangs in Lvov vom sowjetischen Schriftstellerverband herausgegeben wurde, seit 1943 Zwei-Wochenschrift des ZPP] die in Kuibyschew [heute Samara] und dann in Moskau herausgegeben wurde. Noch voll von Erinnerungen an die Vorkriegszeit, träumte ich von einem Polen frei von Klassenunterschieden und ohne Klassenhass, frei von der Plage der Massenarbeitslosigkeit und landlosen Bauern, frei von Ausbeutung und menschlicher Erniedrigung. Aber in der I. Armee, als auch im 6. Regiment Leichter Artillerie [innerhalb der 4. Pommerschen Infanterie-Division] waren alle möglichen politischen Schattierung vertreten. Uns verband wohl alle einzig das Verlangen nach einem freien und unabhängigen Polen – und dann werden wir schon schauen. Ich muss zugeben, dass es auch mir widerfahren ist, dass ich mir das Nachkriegsparadies vor allem in der Form von Bäckereien vorstellte, die 24 Stunden am Tag geöffnet haben und deren Regale voll mit Brot sind. Nach Jahren des Hungers während der Mittagszeit, am Abend und in der Nacht, fällt es schwer sich über diese Vorstellung zu wundern.

Und das von Ihnen unterstellte Dilemma in der Diskussion existierte praktisch nicht. Und als in den befreiten Gebieten junge Menschen in die einzige reguläre Armee eingezogen wurden, die es in dem Land gab, desertierte nur ein kleiner Teil davon oder versuchte sich vorm Dienst zu drücken!

Welche Rolle spielte für Sie die Tatsache, dass sie aus einer jüdischen Familie stammen? Wie haben Sie über die faschistischen Konzentrationslager zum ersten Mal erfahren?

Der Sowjetunion verdanken ich und meine Eltern das Überleben. Und einer der ersten Anblicke nach der Überquerung des Bugs war das KZ Majdanek – noch frisch von den Henkern hinterlassen, in rohem Zustand, noch nicht „musealisiert“ – mit Stapeln von Schuhen, Hügeln von Brillen, Säcken mit Menschenhaaren und lebenden Leichen die sinnlos in die Leere starrten…

Welches Ereignis aus dieser Zeit haben sie in Erinnerung behalten, mit welchem verbinden Sie Trauer?

Tabellenrangplätze sind gut für den Fußball, aber nicht in Angelegenheiten nach denen sie fragen. Der Krieg begann als ich 13 Jahre alt war und endete als ich 19 wurde. Er hat mein ganzes Jugendalter verschlungen. Der Krieg und darin auch die Frontepisode haben mich für den Rest meines Lebens geprägt, aber wie sollte ich deren Einfluss sortieren? Ich will nicht so tun als wäre ich ein maßgebender Richter in dieser Angelegenheit.

Wie erlebten Sie die Sowjetunion? Welchen Einfluss hatte die Nachricht über den Mord in Katyń oder die Kenntnis von den Verbannungen vieler Polen nach Sibirien auf einen gemeinsam mit der Roten Armee geführten Kampf gegen Faschismus?

Wie ich schon sagte, der UdSSR verdanke ich, dass ich überlebt habe. Die Jahre die ich dort verbrachte gehörten nicht zu den bequemsten, aber ich litt gemeinsam mit allen um mich herum, nicht jedoch als ein Fremder oder unwertes Leben [deutsch im polnischen Original]

Und über dies hinaus war ich Zeuge des Ausbruchs einer unbeschreiblichen menschlichen Aufopferung und Solidarität, der menschlichen Würde, selbst unter unmenschlichen Bedingungen. Was Katyń angeht, dass es Hitler war, der es getan haben sollte, daran hatte ich damals jedenfalls nicht gezweifelt… Es passte in allem darin überein, was ich von ihm bislang erfahren habe…

Was waren ihre Prioritäten nach dem Krieg, damit Ihre Mühe nicht umsonst war?

Ich glaube nicht, dass ich damals in diesen Kategorien gedacht habe. In die Nachkriegsrealität trat ich als Soldat hinein und als Soldat bin ich noch einige Jahre geblieben, da ich dachte (irrtümlich, wie ich erst später begriff), dass dieser Dienst notwendig sei „damit die Mühe nicht umsonst war“ und, dass meine Träume von einem Polen des Wohlstands und Glücks Realität werden. Das Bewusstsein des Missklangs zwischen Theorie und Praxis kam erst später…

Haben Sie nie daran gedacht, dass angesichts der wachsenden Ausländerfeindlichkeit und des Erstarken des Neonazismus in Europa Ihre Mühe und Aufopferung umsonst gewesen sind?

So etwas kann nur jenen einfallen, die die Grausamkeiten von zwei Totalitarismen und die Grausamkeiten eines europäischen Krieges nicht erlebt haben. Die Mühe war nicht umsonst – die Totalitarismen sind für immer verbannt. Und welche Vorwürfe man auch immer gegenüber der heutigen Welt richten kann – um wie viel schrecklicher wäre unsere heutige Welt, wenn jene „Mühen und Aufopferung“, wie Sie das ausdrücken, ausgeblieben wären?

Es schmerzen jedoch die Beweise, die von Jahr zu Jahr anschwellen anstatt weniger zu werden, dass wir unfähig sind aus geschichtlichen Erfahrungen zu lernen, wie auch immer unmissverständlich und drastisch sie wären. Die Ausländerfeindlichkeit ist eine mörderische Ideologie und als ich den Krieg verlassen habe, hegte ich – welch naive – Hoffnung, dass es für die Ausländerfeindlichkeit keinen Platz mehr geben wird. Muss denn jede Generation um Niederträchtigkeit loszuwerden und unser gemeinsames Leben vom Bösen zu befreien am Beispiel der selbst begangenen Niederträchtigkeiten lernen? Die Jahrestage der Beendigung von Kriegen sollten eine Gelegenheit sein, nicht um die eigenen Siege und die Niederlagen des Kriegsgegners zu zelebrieren, sondern um sich selbst daran zu erinnern, was zu diesem entsetzlichen Blutbad geführt hat und diese Lektion gut in sich aufzunehmen, die für uns alle gleichermaßen erlösend wäre, dass Böses, das Böse nur vertieft, anstatt sich diesem zu widersetzten.

Ja aber was würde ich denn tun, wenn ich noch einmal an der Stelle jenes Zygmunt in den Berliner Wäldern im Mai 1945 wäre? Vermutlich würde jener Jüngling anders handeln als er handelte (womöglich konnten ihm auch andere Erlebnisse widerfahren). Doch vermutlich würde ich das gleiche machen, wie er damals. Dass er von einem Polen träumte, das frei ist von Elend und menschlicher Erniedrigung, einem Polen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, kann ich ihm nicht vorwerfen. Wenn ihn also diese Träume in irgendeinem Moment auf Irrwege führten, habe ich nicht das Recht ihm böse zu sein. Und umso weniger habe ich nicht das Recht, Weisheiten auszukramen und ihn zu belehren aus den Höhen des Wissens, die ihm fehlten…

Ich wünsche Euch eine günstige Verwirklichung der geplanten Feierlichkeiten!

Prof. Dr. hab Zygmunt Bauman – geboren 1925, Soziologe und Philosoph. Bis 1968 Professor an der Warschauer Universität, infolge der antisemitischen Ausschreitungen 1968 während der März-Unruhen aus Polen ausgewiesen. Emigrierte nach Israel, wo er bis 1971 an den Universitäten in Tel Aviv und Haifa unterrichtete. Anschließend übernahm er den Lehrstuhl für Soziologie in Leeds, wo er bis heute lebt.

Das Gespräch führte Kamil Majchrzak

Interview mit Wladimir Gall

3. März 2013

WolodjaHallo Wladimir, wir hatten ja bereits mehrfach die Möglichkeit, dich persönlich kennen zu lernen. Allerdings wollen wir den Leserinnen und Leser unserer Zeitung ein Stück weit an deinem Leben, deinen Erfahrungen und Erlebnissen Teil haben lassen. Vielleicht kannst du uns zuerst kurz schildern, wann und wo du geboren wurdest und welchen Bildungsweg du bis zu deinem Eintritt in die Rote Armee genommen hattest?

GALL: Ich wurde am 20. Januar 1919 in der Stadt Charkow (heute ukrainisch Charkiw – d. Red.) geboren. 1936 machte ich das Abitur und nahm ein Studium an der Moskauer Hochschule für Geschichte, Philosophie und Literatur (Fachrichtung Weltliteratur und Deutsch) auf. Mein Lieblingslehrer war Lew Kopelew.

APB: Ab wann hast du die aufkommende Gefahr des deutschen Faschismus wahrgenommen und ab wann war dir klar, dass der deutsche Faschismus auch eine direkte Gefahr für die Sowjetunion war?

GALL: Schon während des Studiums erkannte ich die akute Gefahr des deutschen Faschismus und es wurde mir klar, dass es nicht nur, aber vor allem unsere Sowjetunion bedroht.

APB: Wann und unter welchen Umständen bist du später zur Roten Armee gekommen?

GALL: Am 22. Juni 1941, dem Tag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion, absolvierte ich die Hochschule und legte mein letztes Staatsexamen ab. Ich meldete mich sofort freiwillig zur Roten Armee; später hatte ich den Dienstgrad eines Hauptmanns.

APB: Wie genau sah dein Leben an der Front aus? Was waren deine hauptsächlichen Aufgaben in der Roten Armee, als ihr auf dem Weg nach Berlin ward?

GALL: Ich gehörte zu einem Sondertrupp der Armee. Unser Kampfauftrag bestand darin, die deutschen Soldaten über den Krieg, den Faschismus und die sowjetische Kriegsgefangenschaft aufzuklären und sie zur Aufgabe zu bringen. Jeden Abend fuhren wir mit einem Lautsprecherwagen an die sog. HKL (Hauptkampflinie) und wandten uns über das Mikrofon direkt an die Wehrmachtsangehörigen. Sehr oft wurden wir dabei von ihnen heftig beschossen.

APB: Dein Einsatz als sowjetischer Parlamentär in der Festung Berlin-Spandau hat vielen Deutschen, vor allem Frauen und Kindern das Leben gerettet. Erzähl uns doch bitte noch etwas über diesen im wahrsten Sinne des Wortes „filmreifen“ Einsatz.

GALL: Der Höhepunkt meiner Tätigkeit im Sondertrupp war der Parlamentärgang in die Zitadelle Spandau am 1. Mai 1945. Ausführlich habe ich alles in meinem Buch „Moskau – Spandau – Halle. Etappen eines Lebensweges“ beschrieben. Dieser Einsatz war nicht nur „filmreif“, sondern in erster Linie lebensgefährlich.

Das war die dramatischste Episode meines Lebens.

Zu Zweit, also Major Grischin und ich, stiegen wir über eine Strickleiter – einem Weidenstock mit einem Stück weißen Stoff in der Hand – als Parlamentäre in die Spandauer Zitadelle. SS-Fanatiker, die sich in der Festung befanden, versuchten immer wieder unsere Verhandlungen zur Vermeidung weiteren sinnlosen Blutvergießens zu sabotieren und wollten unsere Erschießung. Zum Glück war das nicht geschehen. Damit waren hunderte Zivilisten gerettet. Es freut mich, dass viele Deutsche diese humane Tat von uns und der Roten Armee nicht vergessen haben.

APB: Später hat dich der wunderbare Film „Ich war neunzehn“ von Konrad Wolf einem breiten deutschen Publikum bekannt gemacht. Was verband dich mit Konrad Wolf und seiner Familie, vor allem mit seinem Bruder Markus Wolf? Welche Bedeutung hatten sie für dich?

GALL: Ich lernte Konrad Wolf an der Front, in einem Sondertrupp, kennen, schätzen und lieben. Er wurde mein bester Freund und blieb es bis zu seinem viel zu frühen Tod 1982. Konni machte mich mit seinem Vater, dem bedeutenden antifaschistischen Schriftsteller Friedrich Wolf und seinem älteren Bruder, dem späteren legendären Chef der DDR-Aufklärung Markus (Mischa) Wolf bekannt. Ich bewunderte alle drei als kluge, aufrechte, rechtschaffende Menschen, mutige Kämpfer gegen den deutschen Faschismus, als Kampfgefährten im Kriege und in der Nachkriegszeit. Sie waren für mich die besten Vertreter des deutschen Volkes.1

APB: Nach der Zerschlagung des Faschismus durch die Rote Armee hast du neue Aufgaben bekommen? Welche Funktion hattest du nach dem Sieg über den Faschismus, also wie ging es für dich nach dem 8. Mai 1945 weiter?

GALL: Nach dem Sieg über den Faschismus war ich in den ersten und schwersten Nachkriegsjahren Leiter der Kulturabteilung der SMAD (Sowjetische Militäradministration) in Sachsen-Anhalt. Übrigens war ich der erste Sowjetbürger, der nach Halle kam. Kulturoffizier hatten nicht die Aufgabe, der deutschen Bevölkerung unsere sowjetische Kultur aufzuzwingen, sondern vielmehr, ihnen zu helfen, die faschistischen Kulturinhalte zu entlarven, zu beseitigen und eine neue demokratische Kultur zu entwickeln. Als ich viele Jahre später Halle – noch zu DDR-Zeiten – besuchte, merkte ich, dass uns dies durchaus auch recht gut gelungen schien.

APB: Was hast du nach deiner Rückkehr in die Sowjetunion gemacht?

GALL: Nach der Rückkehr war ich bis Ende 1949 Lehrer in der Antifa-Zentralschule in Krasnogorsk bei Moskau. Wir erzogen unsere Schüler/innen im Geiste der Demokratie und der Völkerfreundschaft. Anfang 1950 ließ ich mich ausmustern und war danach bis zur Rente in der Moskauer Hochschule für Fremdsprachen als Dozent tätig. Ich unterrichtete nicht nur sowjetische, sondern auch viele deutsche Studentinnen und Studenten, von denen viele später in diplomatischen Korps tätig waren. Dazu gehört auch der derzeitige russische Botschafter in Berlin, Wladimir W. Kotenew.

APB: Und wie siehst du den Untergang der Sowjetunion?

GALL: Meiner Meinung nach war der Zerfall der Sowjetunion eine Tragödie. Radikale Reformen waren notwendig, aber sie hätten anders durchgeführt werden können und sollen. Doch die Kräfte, die die Sowjetunion zerstören wollten, waren auch sehr groß. Leider ist es uns nicht gelungen, die Sowjetunion auf einer neuen, veränderten gemeinsamen Basis zu konstituieren.

APB: Du verfolgst die politischen Entwicklungen ja auch in Deutschland nach dem Untergang der DDR sehr  genau. Wie siehst du das Erstarken von Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland?

GALL: Ich beobachte das Erstarken des Neofaschimus, Antisemitismus und Rassismus und Deutschland mit großer Besorgnis; so wie im Übrigen auch in Russland und vielen Ländern des ehemaligen sog. Ostblocks. Aber die Gespräche, die ich in Berlin und anderen deutschen Städten mit vielen Menschen, besonders mit Jugendlichen, führte, machen mir auch Hoffnung. Es gibt auch in der Bundesrepublik viele Jugendliche, die sich dem wieder erstarkendem Neofaschismus, Antisemitismus und Rassismus entgegenstellen. Es wächst auch eine antifaschistische Generation nach, die aus unseren Fehlern und Lehren lernt und dann genauso erfolgreich siegen wird, wie wir damals.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte die Antifa Prenzlauer Berg

Quelle: Rosen auf den Weg gestreut. Heft Nr. 7, Oktober 2008

Stalingrad 1943: Wer nicht feiert, hat verloren!

2. Februar 2013

hitleraufsmaul_deutsch_webWarm-up zum 9. Mai 2013 – dem 68. Jahrestag des Sieges! Feiert mit uns den 70. Jahrestag des Endes der Schlacht von Stalingrad! Die Schlacht von Stalingrad ist eine der wichtigsten Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und Wendepunkt im Kampf um die Befreiung der Welt vom deutschen Faschismus. Wir möchten an die große Leistung der Roten Armee erinnern, die dem von Nazideutschland ausgegangenen Morden ein Ende bereitete. Wir feiern den Sieg der Roten Armee um Stalingrad mit einem Konzert der Bands Cosmonautix, Neofarius Orchestra #249 und einer Aftershowparty mit DJ Interpaul. Kommt am 2. Februar 2013, 21 Uhr zum Hangar 49, Holzmarktstr. 15-18, S-Bahnbogen 49, Michaelbrücke! Eintritt: 5 Euro! Veranstalter ist die Basisorganisation 8.Mai der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.

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