Mit unseren Zeitzeug*innen gegen das Vergessen

30. April 2020

 
Die Berliner VVN-BdA und die BO 8. Mai waren als Veranstalterinnen des Festes zum Tag des Sieges im Treptower Park am 9. Mai stets bemüht, jedes Jahr neue bildungspolitische Themen-Schwerpunkte zu setzen, um diese in der Erinnerungs- und Gedenkarbeit zu verankern. Dies spiegelte sich sowohl in den Beiträgen unserer alljährlichen Broschüre als auch bei den eingeladenen Gästen auf der Bühne wider. Dabei wurde der entscheidende Beitrag der Roten Armee für die Befreiung vom deutschen Faschismus mit Rotarmisten wie Moritz Mebel, Stefan Doernberg, Ilja Kremer, Wladimir Gall, Petr Alaev, Hanna Podymachina, Hermann Ernst Schauer u.a. genauso gewürdigt wie der Beitrag der Anti-Hitler-Koalition durch u.a. Werner Knapp, Soldat in der tschechoslowakischen Auslandsarmee in Frankreich, durch den Soldaten in der britischen Armee und Nebenkläger im Sobibor-Prozess Kurt Gutmann und durch Edmund Hünigen, der bei den Tito-Partisan*innen gekämpft hat. Wir hörten Inge Maja Weiße, die die Befreiung durch die Rote Armee in Oberschöneweide erlebte.
 
Im Jahre 2012 begann eine nachhaltige Zusammenarbeit mit ehemaligen polnischen Veteran*innen vom Verband der Polnischen Kombattant*innen (ZKRPiBWP). Der Regisseur Christian Carlsen konnte mit seinem Dokumentarfilm „Vergesst nicht unseren Kampf!“ die Begegnung mit den polnischen Befreier*innen von Berlin begleiten.
 
Nach einem Empfang der polnischen Veteran*innen im Rathaus Charlottenburg beschloss die BVV auf Antrag der SPD 2015 den Beitrag der polnischen Armee bei der Befreiung Charlottenburgs in Form einer Gedenkplatte zu würdigen. Die Berliner VVN-BdA will die Gedenkplatte am 8. Mai 2020 vor der TU Berlin einweihen. Insgesamt kämpften 180.000 polnische Soldat*innen der 1. und 2. Armee in der Schlacht um Berlin. 12.000 Pol*innen kämpften in der Berliner Innenstadt. Fast 9000 Soldat*innen verloren dabei ihr Leben. Viele polnische Soldat*innen fielen vor allem bei den Gefechten um die Charlottenburger Chaussee bei der Eroberung der damaligen Technischen Hochschule und des S-Bahnhofs Tiergarten.
 
Zu mehreren unserer Feste durften wir Veteran*innen vom Verband der Polnischen Kombattant*innen begrüßen z. B. Hania Szelewicz, Henryk L. Kalinowski, Adela Jaworowska, Henryk Strzelecki, Lech Tryuk, Eugeniusz Skrzypek, Józef Koleśnicki, Zofia Lipiec, Józef Czerwiński sowie Jan Paciejewski, um den Beitrag der 1. und 2. Polnischen Armee bei der Befreiung Berlins zu feiern.
 
Elie Wiesel, der Auschwitz und Buchenwald überlebte und später den Friedensnobelpreis erhielt, hat einmal gesagt: „Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst zum Zeugen werden.“ In diesem Sinne luden wir Enkelinnen von Rotarmisten, Inessa Sakhno und Julia Pankratjeva, ein, über ihre Großväter zu berichten, denn uns stellt sich die Frage, wie wir die Erinnerungen der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen bewahren und ihnen Gehör verschaffen können, wenn diese zunehmend älter und gebrechlicher werden und sterben. Wir empfingen den ukrainischen Buchenwald-Häftling Alexander Bytschok und thematisierten den vielfach verdrängten jüdischen Widerstand. Wir erinnerten an die jüdischen Opfer der Shoah und an den Holocaust an den Sinti und Roma und ihren Kampf gegen den NS. Wir forderten die Anerkennung der als Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ Verfolgten und erinnerten an die internationale Solidarität der Interbrigadisten.
 
Wir hörten Gäste, wie die Überlebenden der Leningrader Blockade Dorothea Paley und Larisa Popowitschenko sowie die Überlebende pseudomedizinischer Versuche, die Sintezza Rita Prigmore. Herbert Stein berichtete über seine Jugend im Kinderheim in Iwanowo als Kind von deutschen Kommunist*innen, die in die Sowjetunion emigriert sind. In unseren Broschüren gab es zahlreiche Interviews mit jüdischen Widerstandskämpfer*innen wie Tomasz Miedziński (sowjet. Partisaneneinheit „Tschapajew“), dem Schriftsteller Józef Hen (2. Polnische Armee), dem Soziologen Zygmunt Bauman (1. Polnische Armee) und dem polnischen Buchenwald-Häftling Władysław Kożdoń sowie Beiträge über als „Asoziale“ im NS Verfolgte mit einem Portrait über Maria Potrzeba (KZ Uckermark).
 
Beiträge von Historiker*innen wie Dovid Katz oder Kurt Pätzold, die über die Gefahren der Totalitarismus-Ideologie aufklärten, von Dagmar Lieske, die die Leerstellen deutscher Erinnerungspolitik aufzeigte, stellten die Diversität der Verfolgung und des Widerstandes gegen den NS in den Mittelpunkt und sind Ausdruck einer lebendigen Erinnerungskultur bei unserem Fest, die auf die Bewahrung demokratischer Errungenschaften und gesellschaftlicher Teilhabe in der Gegenwart und Zukunft gerichtet ist.
 
Die Auseinandersetzung mit der Shoah, die Bemühungen um die Entschädigung von Zwangsarbeiter*innen, sowjetischen Kriegsgefangenen, griechischen Opfern von Distomo und Ghetto-Beschäftigten oder die transgenerationellen Folgewirkungen durch Traumata bei Nachkommen spielten dabei immer eine besondere Rolle (siehe den Film „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus – Die Arbeit & Gedenkpolitik der VVN-BdA von Left Report).