Dorothea Paley

1. Mai 2020

 

Tagsüber wurden im Radio meistens nur Frontberichte übertragen. Aber einmal wurde feierliche Musik gespielt, wie ich später erfuhr, die 7. Sinfonie Schostakowitschs. Ihr Einfluss auf den bereits wackelnden Glauben an den Sieg ist schwer zu überschätzen.

Dorothea Paley war 2014 Gast bei unserem Fest zum Tag des Sieges und gab uns einen Eindruck, was es für Kinder bedeutete, während der Blockade in Leningrad zu leben. Dorothea wurde 1936 in Odessa in einer jüdischen Familie geboren und wuchs in Leningrad auf, da der Vater dort an der Kunsthochschule arbeitete. Als 1941 die Blockade begann, war Dorothea fünf Jahre alt. Da ihr Vater als ein sehr talentierter Maler galt, wurde er nicht in die Rote Armee eingezogen und wurde sogar mit Beginn des Krieges evakuiert. Ihre Mutter dagegen hatte damals Angst, mit einem Kind und ohne Geld evakuiert zu werden und entschied sich deshalb, mit der Tochter in Leningrad zu bleiben, um das Einkommen aus ihrer Arbeit als Buchhalterin nicht zu verlieren.
 
Die Aufgabe der Kinder während der Blockade war es, Wasser zu holen, im Winter auch aus dem zugefrorenen Fluss, und den Nachbarn zu helfen. Allgemein, so berichtete sie in einem Interview, sei der Zusammenhalt in der Bevölkerung sehr groß gewesen. Hunger war der Normalzustand. Im Winter war es immer unglaublich kalt. Fast jede Nacht heulten die Sirenen, weshalb man umgehend aufstehen musste, um in den Luftschutzkeller zu rennen. Mit den vielen Toten auf den Straßen war der Tod auch für die Kinder allgegenwärtig. Trotz Hunger, Kälte und Bombardierungen überlebten Dorothea und ihre Mutter die Leningrader Blockade. Von ihrer Verwandtschaft lebte nach dem Krieg nur noch die Hälfte.
 
Nach dem Krieg ist Dorothea Paley in Moskau weiter zur Schule gegangen. Sie hat an der Universität der Eisenbahn ein Ingenieursstudium mit dem Doktortitel abgeschlossen und danach an einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut gearbeitet. Ende der 1990er Jahre zog sie mit ihrer Familie nach Berlin.